Über das Logbuch der Veränderungen

Hintergrund

Die Corona-Epidemie und die staatlichen Maßnahmen in Bezug auf den Schutz der öffentlichen Gesundheit stellte uns alle im persönlichen, familiären und beruflichen Umfeld, teils auch in finanzieller Hinsicht, vor erhebliche Herausforderungen. Die empfohlenen und angeordneten Maßnahmen im Bereich des Gesundheitsschutzes betrafen unser tägliches Leben in einer Vielzahl von Kernbereichen wie z.B. Kommunikation und Information, Arbeit, Konsum, Mobilität, soziale Beziehungen und Sorge um Andere. Neben persönlichen Einschränkungen auf individueller Ebene mussten Unternehmen, von Solo-Selbständigen über KMUs bis hin zu größeren Unternehmen teils schwerwiegende, existenzbedrohende Umsatzeinbußen hinnehmen. Darum mussten neben dem gesellschaftlichen und persönlichen Gesundheitsschutz auch die wirtschaftliche Existenz vieler betroffener Personen, insbesondere in prekärer wirtschaftlicher Lage, sowie die Überlebensfähigkeit von Unternehmen und Organisationen der öffentlichen Daseinsvorsorge gesichert werden bzw. aufgrund der Pandemie und den Restriktionen mit hoher Unsicherheit und Existenzängsten umgegangen werden. Dies zeichnete eine gesellschaftliche Herausforderung dar, auf die in vielfältiger Weise auf Ebene der Gesellschaft, Institutionen und auf individueller Ebene reagiert werden musste.

Die teils einschneidenden, staatlich angeordneten Maßnahmen von Betriebsschließungen bis zu Empfehlungen der Einschränkung der Bewegungsfreiheit und das individuelle Erleben von Krisenfällen sowie subjektive Gefahreneinschätzungen führten zu Anpassungsreaktionen, die im Rahmen einer Transformationsforschung von hohem wissenschaftlichem Interesse sind. Wir erlebten eine umfassende Veränderung und Aussetzung etablierter Routinen und Entscheidungsmuster und die Entwicklung neuer sozialer und ökonomischer Praktiken. Diese beobachtenden gesellschaftlichen Anpassungsreaktionen können als Beispiel für die Beobachtung von Teilbereichen eines in seinem Umfang unklaren Transformationsprozesses interpretiert werden. Die Krise ermöglicht die Untersuchung eines sonst nur retrospektiv zu beobachtenden Phänomens des gesellschaftlichen Wandels und Veränderungsprozesses. Sie erlaubt die Mechanismen von Wandel und Veränderung zu beobachten. Dieser Prozess des Wandels ist insbesondere interessant, weil die Krise u.a. umfangreiche staatliche Maßnahmen zur erzwungenen Verhaltensänderung, welche z.B. in Nachhaltigkeitsdiskursen als Lösung benannt werden, ähnlich sind. Eine Untersuchung der Anpassung an die Gesundheitskrise erlaubt es, Prozesse, Handlungen, Praktiken, Spielräume und Entscheidungsmuster der Veränderung zu entdecken. Dies wirft die Frage auf, ob und inwiefern die in der Krise geprägten gesellschaftlichen Erfahrungen kollektive und individuelle Lerneffekte in Bezug auf die Förderung einer Nachhaltigkeitstransformation hat.

Forschungsfragen

  • Können Verhaltensänderungen als Reaktion auf das staatliche und gesellschaftliche Handeln in der Gesundheitskrise andere Transformationsprozesse in positiver oder negativer Weise beeinflussen?
  • Inwiefern sind solche Erfahrungen übertragbar?
  • Welche Rolle spielt das staatliche Handeln auf Verhaltensänderungen?
  • Welche Effekte jenseits individuellen Verhaltens zeigen sich?
  • Wie lange halten Verhaltensänderungen an?

Beobachtung von Veränderungen, Umbrüchen und Wandel

Die Beobachtung von Änderungen und Wandel in der Krise erlaubt die Abschätzung und Untersuchung eines möglicherweise vorliegenden gesellschaftlichen Lernpotenzials im Hinblick auf Anpassung und Veränderung. Um solche Fragen der Transformationsforschung beantworten zu können, sollten neutral und möglichst breit Beobachtungen gesammelt werden.

In dem lernenden Forschungsprojekt „Logbuch der Veränderungen“ waren Menschen eingeladen, ihre Beobachtungen gesellschaftlicher Veränderungen, von Umbrüchen und Wandel, ähnlich wie in einem Logbuch, in dem die Daten und Ereignisse einer Schiffsreise in strukturierter Form festgehalten werden, zu dokumentieren.

Ziele des Logbuchs

  • Beobachtungen gesellschaftlicher Veränderungen im Rahmen der Corona-Pandemie aus möglichst unterschiedlichen Perspektiven dokumentieren und als empirisches Material für die Transformationsforschung nutzbar machen.
  • Die Fähigkeit zur Beobachtung von Veränderungen schärfen, um mögliche Spielräume und Risiken einer Transformation zu entdecken und zu beschreiben.
  • Analyse, ob das Führen eines solchen Logbuches für Veränderungspotenziale sensibilisiert und Lernprozesse über mögliche Veränderungen angestoßen und ggfs. unterstützt werden können.
  • Sicherung von Erfahrungs- und Handlungswissen aus der Corona-Krise, um diese zu einem späteren Zeitpunkt für eine Nachhaltigkeitstransformation fruchtbar zu machen.
  • Verwendung der Logbücher in einem breiteren Rahmen für gesellschaftliche Debatten und Lernen über Veränderungsprozessen

Die Logbuchschreiber*innen wurden – im Sinne von Bürger*innenwissenschaft / Citizen Science – eingeladen, Veränderungen von Handlungsmustern, Routinen und Praktiken bei sich, in ihrem Umfeld und in der Gesellschaft zu beobachten und anhand von Kategorien und Fragen in einem Online-Logbuch zu dokumentieren.